Samstag, 22. Oktober 2011

Vorurteile

Wir haben eine Wohnung entdeckt, die genau so ist, wie wir uns unsere Wohnung immer gewünscht haben. Eine Maisonette mit unten zwei Arbeitszimmern, kleiner Küche und Eßbereich, oben dann Wohngalerie, Schlafzimmer und Bad. Die Einbauküche muß abgelöst werden, entspricht aber exakt unseren Vorstellungen, und sogar die Farbe sagt uns zu. Einverstanden.

Natürlich müssen wir auch der Vermieterin gefallen, aber wir sind die besten Mieter, die man sich vorstellen kann: beide berufstätig, die Frau im öffentlichen Dienst und unkündbar, keine Haustiere, keine Kinder und auch kein Kinderwunsch, da aus dem Alter heraus. Wir feiern keine Parties und mögen keine laute Musik. Es hat sich noch nie ein Nachbar über uns beklagt.

Dem Vormieter sind wir so sympathisch, daß er sich spontan für uns entscheidet, andere Bewerber nur noch der Form halber herumführt, um der Hausherrin anschließend stolz seine Wahl mitzuteilen. Doch die ist anderer Meinung.

Eine Musikpädagogin? Das kommt überhaupt nicht in Frage. Am Ende hat sie noch ein Klavier und erteilt den ganzen Tag Unterricht an notorisch unbegabte Kinder, so daß der Nachbar, der auch schon gegen die Bushaltestelle vor dem Haus geklagt hat, erneut Ärger macht. Und man kann es ihr noch nicht einmal verbieten, weil sie dann vor Gericht geht und es durchsetzt. Und ein Selbständiger? Da hat man ja auch schon viel gehört von plötzlichen Firmenpleiten, und mit einem Mal hat man einen Hartz IV Empfänger im Haus und kann zusehen, wie man an seine Miete kommt. Nein, das geht absolut nicht.

Wer einer fest angestellten Musikpädagogin unterstellt, sie unterrichte in der Wohnung, glaubt wahrscheinlich auch, der Gefängnisdirektor kette seine Strafgefangenen nachts bei sich zuhause an. Was für eine erschreckende Unkenntnis, die hier nun zur völlig unbegründeten Ablehnung eines Mieterpaares führt, wie man sich kaum ein besseres wünschen kann.

Meine Liebste hat noch nie Unterricht in der Wohnung gegeben. Sie mag privat noch nicht einmal Musik hören, geschweige denn selbst welche machen. Und meine Firma arbeitet ausschließlich mit Eigenkapital bei minimalen Fremdkosten und hat langfristige Verträge mit namhaften Kunden, steht also wirtschaftlich äußerst solide da. Das alles hätte man in einem Gespräch vorbringen können, aber ein solches Gespräch fand nie statt.

Stattdessen wird nun ein einfacher Arbeiter einziehen. Jemand, der irgendwo am Fließband steht. Und der hoffentlich jeden Tag seine Stereoanlage so weit aufdreht, daß die Wände wackeln.

Das, genau das, wünsche ich mir heuer zu Weihnachten.