Sonntag, 12. September 2010

Unfreiwillige Odyssee


Für uns Urlaubs-Heimkehrer steht heute ein Besuch im Elternhaus an, draußen im schönen Kalchreuth, wo schon Albrecht Dürer gerne weilte und wir beide natürlich erst recht, denn bei Mama warten fränkische Klöße, und die wollen pünktlich zur Mittagszeit auf dem Teller liegen.

Ob wir denn vorhätten, wie üblich den Zug zu nehmen, will sie wissen, denn "der fährt heute nicht, wegen dem Radrennen". Nein, weiß ich sie zu beruhigen, wir nehmen heute das Auto. "Gut, aber über Buchenbühl könnt ihr nicht fahren, die Straße ist auch gesperrt", gibt sie mir noch als Ermahnung mit.

Wenige Minuten später ein neuerlicher Anruf der besorgten Mutter: "Du weißt schon, daß heute Neunhofer Kirchweih ist? Da ist heute auch alles gesperrt!"

Erste Anflüge von Besorgnis machen sich breit, denn jetzt bleibt von den drei möglichen Routen nur noch die über Heroldsberg, und wer weiß, ob man nach dorthin überhaupt einigermaßen staufrei durchkommt, bei so vielen Ortsfremden in der Stadt.

Zehn Minuten später stehen wir, die Bayreuther Straße schon in Sichtweite - im Stau. Gottseidank, es fahren Autos stadtauswärts! Und auch stadteinwärts. Aber oh Schreck, ein rotweißes Trassierband und grünbemützte Ordnungshüter zeigen unmissverständlich an, daß wir "Wessis" - gemeint sind die im Westen Nürnbergs Wohnenden - nicht in die gewünschte Richtung einbiegen können und dürfen. Es gibt für uns nur zwei Möglichkeiten: entweder stadteinwärts, wo wir gar nicht hin wollen, oder aber nach dorthin zurück, wo wir soeben herkamen.

Hat man in der Heimatstadt so berühmter Erfinder wie Martin Behaim, Peter Henlein oder Staedtler Mars eigentlich schon einmal von jener genialen Erfindung gehört, die man Hinweistafel nennt? Anscheinend nicht.

Anruf bei Mama: wir kommen 15 Minuten später.

Auch an der Flughafenstraße, die wir als einzige verbliebene Chance auf das wartende Mittagessen einstufen, weist keinerlei Tafel auf das Malheur hin, das uns am anderen Ende erwartet: kein Überqueren der Radstrecke möglich.

Was tun, sprach Zeus? Vielleicht erst einmal nach Tennenlohe, von dort auf die Autobahn in Richtung Regensburg und bei Nürnberg Nord wieder ausfahren, dann wären wir auf einem zwar langen, aber Erfolg versprechenden Weg nach Heroldsberg, wo uns dann nur noch wenige Minuten vom Schweinebraten trennen.

Neuerlicher Anruf bei Mama: es wird wahrscheinlich noch später. Viel später.

Aber was ist das? Da prangt doch tatsächlich ein Schild an der Abzweigung nach Neunhof, welches besagt, daß ein Durchkommen in Richtung Kalchreuth unter gewissen Einschränkungen möglich sei, wenn auch über Feldwege und nur noch bis 13 Uhr, denn dann beginnt der Kirchweih-Umzug.

Schau an, die Neunhofer scheinen sich tatsächlich all jener zu erbarmen, die möglicherweise heute ein anderes Ziel anstreben als ihr sicher sehr lohnendes Dorffest mit Bierzelt und Autoscooter, und die auch dem Radsport nicht so viel abgewinnen können, daß sie dafür alles andere zurückzustellen bereit sind, einschließlich Mittagsmahl.

Wenige Minuten später, wir können unser Glück noch kaum fassen, sind wir tatsächlich und leibhaftig in Kalchreuth.

Irgend etwas aber ist hier heute anders als sonst. Wo sind die vielen Autos, die normalerweise zur sonntäglichen Mittagszeit hier alles so zuparken, daß kaum noch ein Durchkommen möglich ist? Normalerweise platzt der malerische Ort an Tagen wie diesem aus allen Nähten. Wieso überall diese gähnende Leere, die fast den Eindruck einer Geisterstadt erweckt?

Nun ja, die Altoberen der nahen Dürermetropole haben es in der Tat geschafft, das reizende dörfliche Kleinod vor ihren Toren so vollkommen abzuriegeln, daß die hiesige Gastronomie diesen herrlichen Spätsommertag wohl für alle Zeiten als Schwarzen Sonntag in ihren Annalen führen dürfte.

Zumindest bis nächstes Jahr um diese Zeit, denn dann steht erneut ein Rennen um die Nürnberger Altstadt an. Eine Altstadt, in deren Umfunktionierung zur Radsport-Arena heuer zum ersten Mal auch Orte mit einbezogen wurden, die überhaupt nicht zu Nürnberg gehören und schon gar nicht zur Altstadt.

Frage an die Verantwortlichen: der Tag des Neunhofer Festbetriebs war doch quasi Jahrhunderte im voraus bekannt, da hätte es doch möglich sein sollen, eine Totalabriegelung durch zeitgleiche Sperrung der anderen beiden Straßen zu vermeiden?! Zum Beispiel durch ein anderes Datum oder eine geeignetere Streckenführung?